in: Angie Weihs, Freies Theater, S.90-96, Reinbek bei Hamburg 1981 (Rowohlt)

(S.90) Die 3 Tornados

Ein Fenster. Offen. Ein Gobelinkissen. Darauf Ellbogen und ein Mensch:

«Komma kucken Hilde, komma kucken, ich werd verrückt, Tetzlaffs kriegen schon wieder Besuch - Oh, und kuckma, die Frau, wie die wieder aussieht, nein - Gott!

Oh, kuckma, jetzt rasch, der Opa aus dem 5. Stock, der geht schon wieder schwimmen, wie jeden Mittwoch, wo der wohl jetzt wieder hingeht? Doch nicht wohl schon wieder zum Schwimmen. - Oh, komma kukken Hilde, und von rechts die blinde Oma, kommt da wieder - sieht nichts, hört aber noch alles!

Da! Der Vater haut dem Jungen eine runter und der weint, und keiner weiß, warum -

Komma kucken, Hilde, rasch, rat mal wer jetzt kommt - jetzt kommt der Neger wieder aus der Wohngemeinschaft, du, und die Rothaarige, die geht gleich wieder hinter ihm her. Weiß du, die so aussieht, wie aus der Tagesschau - wie die vom Fahndungsfoto - was sagst du, die war gar nicht rothaarig, die war schwarzhaarig? Na, Gott, das kann doch eine Perücke sein, so raffiniert sind die. Was sagst du, du hast auch 'ne Perücke. Mein Gott, das ist doch was anderes, du bist doch keine Studentin, das sind doch Studenten, das sind doch keine Menschen mehr, das sind doch - wie soll ich sagen - Elemente!

So kuck doch ma die Frau an, also diese Nase, das müssen wir melden, Hilde. Kuckma die Nase und die Augen, wie die mit den Augen kuckt, also da müssen wir anrufen.»

Einige Tage später:

«Komma kucken Hilde, rasch, komma kucken, jetzt tragen sie den Sarg raus! Tragisch, wirklich tragisch, das haben wir nicht gewollt, wir haben doch nur angerufen und gesagt, daß sie ungefähr so aussieht, so in (S.91) etwa! Daß sie nur Krankenschwester war, konnte ja keiner wissen, was wohnt sie auch in 'ner Wohngemeinschaft.

Komma kucken Hilde, rasch, komma kucken, ich werd verrückt! Der Neger, kuck dir den an, der geht hinter dem Sarg her und weint!

ALSO, WARUM DER WOHL WEINT?» (Aus: Ostwind, Nr.15, März 1978)

Beim Lachen die Zähne zeigen, so daß es dem Zuschauer Gefühl und Bewußtsein verwirrt - ein erklärtes Ziel der 3 Tornados, die möchten, daß man oben im Kopf was begreift, aber auch, daß die Leute ihre Show «unten mit nasser Hose» verlassen.

Schon wenn sie sich mit dem Knüttelvers: «Ja, was ist denn da los - das sind die drei Tornados», vorstellen, bewegen Wellen des Gelächters die drängelnde, schiebende und schwitzende Menge - egal wo sie hinfahren - die Massen warten schon und wissen Bescheid.

Die Tornados, die trotz Lachsalven nicht eine Rollen-Miene verziehen, sind ein Scene-Phänomen:

Sie haben im «linken Getto» ein nie für möglich gehaltenes Kalauerbedürfnis erschlossen - nicht zu vergleichen mit Jangos amerikanischem Nonsense, auch nicht mit dem Rocktheaternarren, die durch ihre Musik einer aktuellen Ästhetik entsprechen.

Die Tornados kommen dem subkulturellen Kunstfreund in nichts entgegen. Ohne die geringste Berührungsangst, mit einer Art kulturell unvorbelasteter Naivität, sind sie deutsch: derb, bärbeißig, singen deutsche Schlager mit neuen Texten, benutzen ohne Skrupel die bürgerliche Guckkastenbühne, auf der sie das Kabarett der fünfziger Jahre wieder auferstehen lassen.

Nicht etwa, um sich beim Bürger anzubiedern - mit Volksaufklärung haben sie nichts im Sinn - ihre erklärten Zielgruppen sind die Zentren der Subkultur, auch weil sie die Bezeichnung «linkes Getto» als eine Diffamierung der alternativen Lebensformen ansehen, die dieses «Getto» darstellen.

Die Tornados verhohnepipeln «große Politik», stänkern, giften, lachen über die eigenen Macken, über Theorie-Bretter vorm Kopf, kramen auch die kleinen Sorgen der «kämpferischen» Linken vor:

«Zwei Jungen kommen von der Schule nach Hause. Der Vater hat das Essen gekocht:

Vater: "Hallo Jungs, kommt rein. Ich hab uns 'ne irre dufte, locker flockige Suppe gekocht." (Jungen kommen ordentlich, fast militärisch reinmarschiert)

(Alle setzen sich)

(Die Jungen springen gleichzeitig wieder auf)

"Wo wollt ihr denn hin?"

1. Junge: "Wir müssen noch unsere Finger reinigen."

(S.93) Vater: "Setzt euch hin. Heute werden die Finger mal nicht gewaschen. Ihr mit eurem ewigen Händewaschen."

(Jungs setzen sich mit beleidigter Miene, Vater tut das Essen auf)

(Die Jungen sitzen gerade, als hätten sie einen Stock im Rücken)

"Müßt ihr eigentlich immer so grade sitzen? Könnt ihr nicht mal so sitzen?" (Vater macht 'krumm' sitzen vor)

2. Junge: "Wenn wir so krumm sitzen würden, wie du es uns vormachst, kämen wir nicht zum Militär. Du weißt genau, wie wichtig die Landesverteidigung ist!"

Vater: "Herrgott, wie ihr redet! Lernt ihr das in der Schule?"

2. Junge: "Du mußt noch unsere Schulhefte unterschreiben. Wir haben eine Mathematikarbeit zurückbekommen."

(Beide ziehen mechanisch ihre Hefte aus den Ranzen)

Vater: (sieht in die Hefte) "Waaas? Schon wieder eine Eins. Ihr schreibt ja nur noch Einsen. Könnt ihr nicht mal eine Fünf mit nach Hause bringen?"

1. Junge: "Du willst doch wohl nicht, daß wir uns von vornherein gesellschaftspolitisch isolieren und später in der Unterschicht der arbeitenden Bevölkerung enden?"

Vater: "Also Jungs. Ich hab euch doch schon öfter mal was von dem duften Typen erzählt, der sich so irre mit unserer Gesellschaft auseinandergesetzt hat, ich hab euch doch schon mal von dem Freak Karl Marx erzählt. Was haltet ihr denn davon?"

1. Junge: (Wir wissen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schätzen und lehnen es ab, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen.>

2. Junge: "Ich finde, daß das Buch 'Wer frei ist, bestimmen wir' von Franz Josef Strauß auch Antwort auf die Fragen unserer Zeit gibt."

Vater (nach kleiner Pause vorsichtig): "Wollen wir mal? Wir könnten doch eine kleine Schlacht machen?"

(Macht vor, daß man mit den Löffeln als Schleuder mit Essen spritzen könnte)

(Eisige Reaktion der Kinder)

Vater: "Meine Mutter, eure Oma, hat mich mal gefragt, was wir in der Schule gemacht haben, da sag ich, heute haben wir gelernt, wie man Bomben baut, fragt sie weiter, und was macht ihr morgen in der Schule? Sag ich: Welche Schule?"

(Eisige Mienen der Jungen)

"Und was habt ihr heute so gemacht? Tolle Stimmung gewesen? Dem Arsch von Lehrer eine reingehauen?"

1. Junge: "Wir sprachen heute über die außereuropäischen Einflüsse auf die europäische Kultur und Zivilisation."

2. Junge: "Wir machten heute körperertüchtigende Übungen unter dem Motto: 'In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist'. Anschließend wurde uns der Satz des Thales auf griechisch erklärt."

(S.94) Vater (explodiert. Haut auf seinen Tellerrand, der Teller fliegt in die Luft. Dann schmeißt er die Teller der Jungen auf den Fußboden u. a. m.):

"Ihr seid kleine angepaßte rechte Teufelchen. Ihr seid staatsergebene Kakerlaken. Ich werde eure Schule ein für alle mal in die Luft jagen!"

1. Junge: "Wir sind tolerant ..."

2. Junge: ".... und pluralistisch..."

1. Junge: ".... und deshalb wollen wir deinetwegen diesmal noch keine Meldung beim örtlichen Bezirkspolizeirevier machen, wegen staatsfeindlicher Umtriebe ..." (Die 3 Tornados, Pressematerial)

Was die stürmischen drei für ihresgleichen erfinden, stammt aus ihrer langjährigen Erfahrung in der linken Bewegung:

Die ersten beiden Tornados trafen sich 1976 anläßlich eines Studentenstreiks gegen Berufsverbote in Berlin. Frustriert von ihrem praxislosen Theaterwissenschaftsstudium fanden sie im Streik ein theatralisches Betätigungsfeld, sie improvisierten Sketche gegen seinen Abbruch.

Die «Osterinsel» entstand: Man befindet sich im Jahr 2020, auf der Insel ist gerade der Sozialismus ausgerufen worden. Die 68er Generation hat inzwischen das Greisenalter erreicht.

Zwei dieser tattrigen Revoluzzer verbringen ihren Lebensabend im warmen Insel-Exil. Sie streiten.

Der eine nörgelt über die ewige Sonne, sehnt sich nach echtem deutschen Winter, trocken und kalt. Der andere packt richtigen Kaffee aus:

Statt 18, 20 zu reizen, deklamieren sie Formeln: «Nieder mit Breschnew, nieder mit Ford! Für freie Wahl der Offiziere durch das Volk!» Ende des Karten-auf-den-Tisch-Knallens: «Verloren!!! Ohne Viererbande, gespielt fünf, verloren zehn, mal KPD.»

Sowohl Ästhetik wie Ideen der Tornados sind stark von ihrer Praxis geprägt. Von Bürgerinitiativen in Auftrag gegeben oder zu politischen Aktionen erbeten, entstanden fast alle Sketche zu konkreten Anlässen: Fahrpreiserhöhung, Stadtsanierung, Autobahnbau, Hausbesetzung, Radikalenhatz, KKW-Nee-Bewegung.

Da sie ohne Verstärker spielen, sind klare Sprache, präzise Sätze, eindeutige Gesten nötig, um sich verständlich machen zu können. Zudem machen die Strukturen politischer Versammlungen mit ihren Rednerlisten, ihrer Hektik und politischer Einsatz-Eile kurze, pointierte Szenen notwendig, die durch einen hohen Unterhaltungswert und schnelle Schnitte Spannung erhalten und Mut machen. Zirkus, Revue, Kabarett und szenische Darstellung ergaben dazu die richtige Mischung. Der dritte (S.95) Mann brachte mit seiner Quetschkommode auch die Vorraussetzung zum Liedersingen mit.

An ihren Polit-Schlagern schwappen die Stimmungswellen meist über - Dutzende von Zuschauern singen mit, können Texte und Melodien auswendig. Besonders beliebt sind: «Der Kontaktbereichsbulle» nach der Melodie der TV-Serie «Flipper» und der Song über Opa Krummwiede, der mit seiner Schrotflinte (ein Teppichklopfer) sein Haus verteidigt. Es liegt mitten in der Verbindungslinie der neuen Autobahn-Westtangente, gegen die es in Berlin eine gleichnamige Bürgerinitiative gibt: «Er ist ein Kerl, ein ganzer Mann, er kämpft gegen - die Autobahn!» nach dem Schlager von Gunter Gabriel: «Er fährt 'nen 30-Tonner-Diesel».

«Der Kontaktbereichsbulle:

1 Wer geht so munter dort im Park,
wer fühlt sich in jeder Straße stark,

wer ist immer lustig und wer ist immer froh

und wer erfreut die Kinderherzen so?

Wer findet alles, was er sucht,

wer schlägt die Gangster in die Flucht,

wer ist zum Scherz allzeit bereit,

und wer ist der Größte weit und breit?
Refrain:
Das ist der Kontakt, Kontakt, Kontaaakt,

Kontaktbereichsbulle,

ein jeder kennt ihn,

er wird schnell intim.

2 Wer fragt Frau Schulze, was sie trinkt,
wer fragt die Post, was sie dem Patzke bringt,

wer ist immer listig und schaut in jedes Klo,

und wer verschönert unsern Alltag so?

Wer guckt in alle Abfallkisten,

wer jagt im Hof die Anarchisten,

wer ist zum Kampf allzeit bereit

mit Funkgerät und Draht zur Obrigkeit?

(Refrain)

3 Wer malt Parolen an die Wand,
wer hat stets ein Flugblatt in seiner Hand,

wer fährt immer schwarz und wer gibt keine Ruh,

und wer klebt die Fahrscheinautomaten zu?

Wer wird vom Staatsschutz schwer gesucht,

wer schlägt die Bullen in die Flucht,
(S.96) wer ist zum Scherz allzeit bereit

und trinkt auf eine bessre Zeit?

Refrain:
Ja, das ist Flipper, Flipper, Flipper,

der Freund aller Kinder,

ein jeder kennt ihn,

den klugen Delphin.»

Ob Flipper oder Terrorrosita, die statt «zwei Apfelsinen im Haar und an der Hüfte Bananen» dortselbst Tellerminen trägt und Granaten - die Tornados bleiben möglichst eng an den ursprünglichen Schlagerversionen, um das Überraschungsmoment als Mittel der Komik einsetzen zu können.

Nach guter linker Tradition üben sie sich allerdings auch in Selbstkritik: «Wir produzieren zu wenig Neues!»

Wenn auch die Bekanntheit ihrer Lieder Gruppengefühl und Stimmung schafft, Einigkeit in Frech- und Freiheit, so wollen doch die alten Fans mal was Neues und die neuen Fans von ihrer Wirklichkeit hören.

Das von den Tornados verspottete Sektierertum der Siebziger ist nicht mehr, was es war, KBW und Co. sind längst k.o. Solange sich das Publikum jedoch noch nicht sattgelacht hat an seiner Vergangenheit, werden die drei Polit-Clowns jedes Jahr wieder ihre 60000 Kilometer Straße abreißen und vor lauter Einladungen keine aktuelle Produktion entwickeln können.

Das Ideal der Gruppe, ein aktualisierbares Spielgerüst, um örtliche oder brisante politische Neuigkeiten einbauen zu können, versuchen sie dennoch zu realisieren. So mischten sie sich mit einem Song in den Berliner Häuserkampf 1981 ein, texteten zur Unterstützung der Instandbesetzer Mike Krügers «Nippel-Song» um:

«Ja, wir müssen nur den Hammer aus der Tasche ziehn
und damit spät Abend auf dem Kudamm gehn.
Denn Scherben bringen Glück, das weiß ein jeder Mann.

Der Hammer, das ist unser Talisman.»

Eine erste - von ihnen auch akzeptierte - bürgerliche Auszeichnung stand ihnen allerdings auch schon ins Haus: neben Spitzenkomiker Loriot erhielten sie den Förderpreis für Kleinkunst der Stadt Mainz.

Wenn's ihnen dennoch stinkt, dann besinnen sie sich halt irgendwann einmal auf ihre anständigen Berufe: Hansi Krank wählt zwischen Philosophiestudium und seinem Taxi, Günter Thews macht wieder Regieassistenz beim Fernsehen, Arnulf Rating kann sich zwischen Hausmann und Theaterwissenschaftsstudium entscheiden.